Digitale Sterbekultur – eine ars moriendi nova?

Luv & Lee Magazin 2018 der Fakultät Gestaltung an der FHWS

„Digitale Sterbekultur – eine ars moriendi nova?“, Beitrag von Mario Maier, erschienen im LUV & LEE Magazin der Fakultät Gestaltung, Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt im Sommersemester 2017 | Auflage: 250 Stück

Das komplexe Themenfeld der heutigen Sterbekultur umfasst sowohl das Sterben als Vollzugsmoment des Lebens als auch das Weiterleben nach dem Tod in Erinnerungen und Medien. Angesichts der in der westlichen Gesellschaft immer stärker werdenden Säkularisierung befindet sich die ars moriendi stark im Wandel. Die überlieferten Traditionen und Evidenzen im Verständnis von Lebensanfang und Tod verlieren an Geltung und disruptive Technologien formen die Trauer- und Begräbniskultur neu.

Entwicklungen wie das Internet führen zu einer immer ausgeprägteren Enttabuisierung des Todes und eine Rückentwicklung zu dem von Philippe Ariès in seinem Werk „Geschichte des Todes“ beschriebenen „gezähmten Tod“. Ariès untersuchte Sterberiten und Bräuche bis zurück ins Altertum und ins Mittelalter. Den gezähmten Tod bezeichnet er als eine „[…] alte Einstellung, für die der Tod nah und vertraut und zugleich abgeschwächt und kaum fühlbar war […]“. Der Tod wurde hingenommen, in aller Öffentlichkeit zelebriert und als Zeichen wahrgenommen, auf das sich Menschen bereits zu Lebzeiten vorbereiten konnten. Der Tod wurde nicht selbst als Gefahr betrachtet, sondern vielmehr fürchtete man sich vor dem, was danach kommen sollte.

Ende des 19. Jahrhunderts, als Sterben nicht mehr als ein Thema der Öffentlichkeit betrachtet wurde, wurde die ars moriendi zu einer tabuisierten Angelegenheit des Privatlebens. Der altertümlichen Angst vor dem Fegefeuer wich eine Angst vor körperlichem und seelischem Siechtum, vor Abhängigkeit, Fremdbestimmung, schlechter Versorgung und Einsamkeit am Lebensabend.

Durch das Fortschreiten der Rationalisierung, Säkularisierung und Pluralisierung können (oder wollen) heutzutage die meisten Menschen der westlichen Gesellschaft nicht mehr auf religiöse Riten und Mythen zur Versöhnung mit dem Tod zurückgreifen. Ökonomische, politische und soziale Entwicklungen führen dazu, dass der Gesellschaft der Gottesglaube und der Glaube an das Jenseits verlorengeht. Diese Abkehr vom göttlichen Jenseits führt zu einer stetig wachsenden Bedeutung des irdischen Hier und Jetzt und zu einem Wandel des Trauerprozesses.

Gräber gelten nicht mehr nur als ein Trauerort, sondern wandeln sich immer mehr zu einem Zeichen der Rückschau auf das individuelle Leben der Verstorbenen. Auch müssen heutzutage nicht mehr Beisetzungs- und Trauerort zusammenfallen. Wo sich einst Trauer in den privaten Raum verlagerte, entsteht im Zuge einer Art ars moriendi nova durch technische Innovationen neue Möglichkeiten der Trauerarbeit. Vor allem durch das Internet entstehen neue Wege, Trauer zu verarbeiten und das Gedenken an Verstorbene wieder öffentlicher zu gestalten. Dies führt dazu, dass bereits jetzt das analoge vom digitalen Gedenken nicht mehr klar getrennt werden kann. QR-Codes werden Teil der Grabsteine und verweisen auf Netzwerke, in denen gemeinsam und öffentlich getrauert werden kann.

Neben Gedenkvideos und -seiten auf Facebook, YouTube und co. steigt die Zahl von sogenannten virtuellen Friedhöfen. Diese sind Gedenkplattformen, die grafisch oft ansprechend gestaltet sind und von den Hinterbliebenen liebevoll gepflegte Ansammlungen von Texten, Fotos, Bewegtbildern beinhalten. Sie bieten außerdem den Besuchern die Möglichkeit, elektronisch Botschaften zu hinterlassen – eine virtuelle Abwandlung jener Kieselsteine, mit denen Besucher jüdischer Friedhöfe den Toten ihre Reverenz erweisen. Des Weiteren gibt es auf einigen dieser Kondoleszenzseiten nicht nur virtuelle Einzelgräber, sondern auch kollektive Gedenkgräber, beispielsweise für AIDS- und Krebstote sowie Kriegsopfer. Die Grundidee der Internetfriedhöfe ist also universalistisch: persönliche Erinnerungen an Verstorbene können mit Menschen auf der ganzen Welt, unabhängig ihrer kulturellen oder religiösen Traditionen, geteilt werden.

Inwieweit bereits eine ars moriendi nova vorherrscht, bleibt noch unklar, da der Bereich der digitalen Trauer noch zu frisch ist, um feste Wege, Riten und Regeln zu etablieren. Wie getrauert und gestorben wird sollte in der modernen Welt jedem selbst überlassen sein. Gerade dafür bietet das World Wide Web, im Gegensatz zum stark institutionalisierten und homogenisierten Bestattungswesen, die Rahmenbedingungen. Wie sich die neue Art zu trauern auf die postmoderne Gesellschaft auswirkt, lässt sich kaum abschätzen. Es ist jedoch sichtlich erkennbar, dass die Digitalisierung einen immensen Umschwung in der Trauerkultur hervorrufen wird.

Das Bild der Schönheit in Faust – Der Tragödie erster Teil

Heinrich Faust und Gretchen
Bild: Faust bietet Gretchen den Arm, von Peter von Cornelius (1811)

Auszug aus der Publikation von Mario Maier im Kurs Ästhetik (Sommersemester 2012) von Dr. Gerhard Schweppenhäuser an der Fakultät Gestaltung der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt:

[…] Schönheit und Ästhetik sind Bedürfniserfahrungen. Dem metaphysischen Schönheitsbegriff nach handelt es sich bei Schönheit um eine von Gott selbst erschaffene Eigenschaft, die in Verbindung mit Metaphysik, Kosmologie und Theologie steht; Schönheit bezieht sich also auf höhere, göttliche Gefilde. In Goethes „Faust der Tragödie erster Teil“ verkörpert Faust selbst dieses Streben. Dieses ausweglose Verlangen nach Göttlichem wird in der Szene „Nacht“ durch Fausts Existenzkrise (scio nescio) deutlich.

„Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie durchaus studiert, mit heißem Bemühn. Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor; Heiße Magister, heiße Doktor gar und ziehe schon an die zehen Jahr herauf, herab und quer und krumm Meine Schüler an der Nase herum – Und sehe, daß wir nichts wissen können! Das will mir schier das Herz verbrennen. […]“¹

Faust strebt nach Transzendenz. Er möchte die endliche Erfahrungswelt überschreiten und alles Unerklärliche, Göttliche, das „was die Welt im Innersten zusammenhält“², erfahren.

Eine weitere Facette der Schönheit in Faust 1 ist das Sinnbild der Helena von Troja, welches durch Gretchen verkörpert wird. In der Szene „Hexenküche“ verabreicht Mephisto Faust einen Trank, mit dem er „bald Helenen in jedem Weibe“ ³ sieht. Helena von Troja galt in der griechischen Mythologie als schönste Frau ihrer Zeit. Faust, der diesen Trank nahm, begegnete Gretchen und sah in ihr die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Zunächst betrachtete er ihre Schönheit nach kulturalistischer Definition. Er bewunderte sie, ohne sofort sexuelle Hintergedanken zu haben. Er begehrte sie, wollte sie aber nicht besitzen. Dies änderte sich, nachdem er sie verführt und geschwängert hatte. Faust war wie besessen von ihr und erweckte den Anschein, dass er Gretchen besitzen wollte. In der griechischen Mythologie heißt es, dass sich viele Männer um Helena stritten, weswegen letztendlich sogar der trojanische Krieg ausgebrochen sein soll. In Faust zeigte sich das durch seine Hartnäckigkeit und in seinem Kampf gegen Gretchens Bruder Valentin. Es stand klar der Besitz im Vordergrund, da Faust um Gretchen wie um eine Trophäe kämpfte. Seine Sexualität und Lust waren ausschlaggebend für sein Verhalten (interessengesteuertes Wohlgefallen). In Gretchen spiegelt sich zudem, zumindest bevor Faust sie entweihte, die Theorie der inneren Schönheit wider, denn Mephistopheles konnte Gretchen nicht beeinflussen, da sie innerlich rein war. […]


¹ Johann Wolfgang von Goethe: Faust – Der Tragödie erster Teil, Stuttgart: Reclam, 2007, S. 13
² Johann Wolfgang von Goethe: Faust – Der Tragödie erster Teil, Stuttgart: Reclam, 2007, S. 13
³ Johann Wolfgang von Goethe: Faust – Der Tragödie erster Teil, Stuttgart: Reclam, 2007, S. 74